Faszination Nibelungen
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Das Nibelungenlied − einer der bedeutendsten Texte des Mittelalters, zugleich Weltliteratur und deutscher Nationalmythos − ist heute modern wie vor über 800 Jahren. Uns faszinieren daran vor allem die menschlichen Grundkonflikte: Liebe und Hass, Treue und Verrat. Legendär ist im ersten Teil die Liebesgeschichte zwischen dem Superhelden Siegfried und der wunderschönen Kriemhild. Diese Liebe endet abrupt und tragisch, weil Siegfried den burgundischen Königen im Wege steht und deshalb von Hagen ermordet wird. Daran ist Kriemhild nicht ganz unschuldig: Erst beleidigt sie ihre Schwägerin Brünhild, dann zeigt sie Hagen auch noch Siegfrieds einzige verwundbare Stelle, wodurch der Mord erst möglich wird. Im zweiten Teil nimmt Kriemhild Rache für diesen Verrat. Dafür heiratet sie den mächtigen König Etzel. Später lädt sie die Burgunder ins Hunnenreich ein, wo ihre Feindschaft mit Hagen eskaliert, was in ein großes Blutvergießen und den Untergang zweier Völker mündet.
Textanfang des Nibelungenliedes in der Handschrift C
Codex Donaueschingen 63 (Karlsruhe Badische Landesbibliothek)
Mythos zeigt
Präsenz
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Bevor Kriemhild den Hunnenkönig Etzel heiratet, macht sie auf ihrer Reise nach Wien in der Dreiflüssestadt Passau Station und wird dort von ihrem Onkel Bischof Pilgrim prächtig empfangen.
Wortlaut der Handschrift C (Str. 1321-1322)
Do si uber Tuonowe kômen in Beyerlant,
do wurden disiu maere witen bechant,
daz zen Hunin füere Chriemhilt diu kunigin.
des freut sich ir oeheim, ein bischof der hiez Pilgerin.
In der stat ze Pazzowe was er bisschof.
die herberge wurden laere und ouch des fursten hof,
si ilten gegen den gesten uf in Bayerlant,
da der bisscof Pilgerin die schoenen Chriemhilde vant.
Passau und das Nibelungenlied
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Unter all jenen Städten, die sich mit dem Titel „Nibelungenstadt“ schmücken, kommt Passau eine ganz besondere Rolle zu, denn mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Nibelungenlied um 1200 in der Dreiflüssestadt am Hof des Fürstbischofs Wolfger von Erla entstanden. Argumente verschiedener Mittelalterforscher sprechen dafür:
- Die Stadt Passau war um 1200 ein bedeutendes literarisches Zentrum.
- Der Fürstbischof Wolfger von Erla verfügte über die nötigen Ressourcen und Kontakte für ein solches Buchprojekt.
- Der Dichter erwähnt Passau mehrfach, obwohl die Stadt nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Hunnenreich ist.
- Die Beschreibungen der Stadt dokumentieren absolut exakte Ortskenntnisse im bayerisch-österreichischen Donauraum.
- Bischof Pilgrim von Passau wird als Onkel Kriemhilds und der Burgunderkönige eingeführt.
- Die Klage, eine Fortsetzung des Nibelungenliedes, nennt Pilgrim als Begründer der nibelungischen Erzähltradition.
Auf den Spuren
der Nibelungen
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Der Verein „Freunde der Nibelungenstadt Passau e. V.“ wurde 2011 gegründet. Unser Ziel ist es, Passau sowohl Besuchern als auch Einheimischen als literarisches Zentrum des Mittelalters vorzustellen. Denn was viele nicht wissen: Schon um 1200 war die Stadt ein kultureller Knotenpunkt, von dem wichtige Impulse für Kunst und Literatur ausgingen.
Vorträge, Ausstellungen, Filmvorführungen, Studienfahrten und andere Veranstaltungen sollen einen Einblick in das literarische und kulturelle Leben im Mittelalter geben. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Nibelungenlied, das sicher als das bedeutendste Werk aus der Zeit Bischof Wolfgers überliefert wurde. Außerdem wollen wir der Faszination des Nibelungen-Mythos bis in die aktuelle Gegenwart nachspüren und immer wieder neu für das weltberühmte Heldenepos begeistern.